5    Welche Schallausbreitungsbedingungen sind einzuhalten?

5.1     Was bedeutet eigentlich „Freifeld“?

5.2     Einzuhaltende Nachhallzeiten

5.3     Freifeld-Bedingungen nach DIN EN ISO 8253


5.1     Was bedeutet eigentlich „Freifeld“?

In den meisten Fällen wird bei der Tonaudiometrie mit Kopfhörern gearbeitet, bei der Sprachaudiometrie und bei der Anpassung von Hör-Implantaten jedoch im freien Schallfeld mit fortschreitenden Schallwellen. Bei diesen Messungen ist die raumakustische Situation von großem Interesse.

Ein freies Schallfeld ist dann vorhanden, wenn – wie bei Schallmessungen im Freien – keine Schallrückwürfe von irgendwelchen schallreflektierenden Flächen auftreten. So etwas lässt sich tatsächlich nur im Freien oder in sogenannten „reflexionsfreien (schalltoten) Räumen“ herstellen. Dann verringert sich der Schalldruck umgekehrt proportional zu dem Quadrat des Abstandes. Beim doppelten Abstand liegt also nur noch ein Viertel des Schalldruckes vor (sogenanntes 1/r²-Gesetz). Oder umgerechnet auf Schallpegel: bei jeder Verdoppelung des Abstandes nimmt der Schalldruckpegel um 6 dB ab.

In einem Raum mit schallreflektierenden Begrenzungsflächen wird ein (teilweise erheblicher) Anteil des Schalls zurückgeworfen und nicht geschluckt. Weil diese reflektierten diffusen Schallanteile überall im Raum gleich groß sind, nimmt der Schallpegel ab einem gewissen Abstand von der Schallquelle nicht mehr ab. Man befindet sich dann im „Hallfeld“. Der Abstand, in welchem der Direktschall-Anteil und der Diffusschall-Anteil gleich groß sind, wird als „Hallradius“ rh bezeichnet (oder bei Schallquellen mit gerichteter Abstrahlung als „Richtentfernung Dc“). Durch die Addition beider Schallanteile ergibt sich in diesem Abstand ein Schalldruckpegel, welcher um 3 dB über dem Pegel des Direktschallfeldes allein (oder auch des Hallfeldes allein) liegt.

In einem Raum mit längerer Nachhallzeit liegt der diffuse Hallfeld-Schallpegel höher als bei kürzerer; der Raum ist also klingt also „lauter“. Dadurch rückt der Hallradius näher an die Schallquelle heran. Im Gegensatz dazu wird in einem Raum mit starker Schallabsorption, also mit wenigen Reflexionen und kurzer Nachhallzeit, die Freifeld-Situation angenähert. Der Raum wird leiser; der Hallradius wird größer und dementsprechend vergrößert sich auch der näherungsweise als „Freifeld“ nutzbare Raumbereich vor dem jeweiligen Messlautsprecher.

 

 

 

 

 

 

Abbildung 5.1:

Freifeld, Diffusfeld und Hallradius
Die Freifeldgerade fällt mit 6 dB je Abstands-Verdoppelung, die Hallfeldgerade liegt waagerecht (Höhe ja nach Raumvolumen und Nachhallzeit), der Hallradius ist durch den Schnittpunkt der beiden Geraden festgelegt

5.2     Einzuhaltende Nachhallzeiten

In der Raumakustik-Norm DIN 18041 werden im Wesentlichen schalltechnische Anforderungen an Räume für Sprachkommunikation gestellt. In der Norm wird ausdrücklich darauf hingewiesen, sie gelte nicht für Räume mit ungewöhnlichen Anforderungen, zum Beispiel Konzertsäle oder schalltechnische Messräume. Vergleichsweise kann man für Hörprüfräume die Werte zugrunde legen, die auch für Regieräume des Rundfunks gelten. Dort wird für die akustische Planung bei einkanaligen Aufzeichnungen (Mono) eine Nachhallzeit unter ca. 0,5 s angestrebt. Bei mehrkanaligen Aufzeichnungen, die üblicherweise über zwei Lautsprecher (Stereo) oder sogar 5-kanalig abgehört werden, sollte die Nachhallzeit weniger als 0,3 s betragen.

Anders als bei den Gepflogenheiten des Rundfunks können aber die Anforderungen in Hörprüfräumen auf den Frequenzbereich beschränkt werden können, der für die Audiometrie herangezogen wird. Üblicherweise liegt die tiefste Untersuchungsfrequenz für die Ton-Audiometrie bei 125 Hz, bisweilen sogar bei 250 Hz. Männliche Sprache, die häufig für die Sprachaudiometrie verwendet wird, hat eine Grundfrequenz von ca. 100 Hz. Die in vielen Praxen und Hörprüfräumen verwendeten recht kleinen Lautsprecher strahlen diesen Frequenzbereich nur mit sehr verminderter Intensität ab.

Keller weist darauf hin, dass die Frage nach der notwendigen Schallabsorption (zumindest in der Routineaudiometrie) relativ unkritisch sei. Unnötig und vor allem für den Patienten psychologisch ungeschickt ist es nach seiner Angabe, eine absolute Reflexionsfreiheit erreichen zu wollen. Die oft nicht sehr großen Hörprüfräume wirken dann „stumpf“ und „drückend“. Es reiche vielmehr aus, wenn der auch für kleine Räume theoretisch berechenbare Hallradius dem Abstand üblicher Lautsprecheranordnungen vom Probanden oder sogar etwas weniger entspricht. Für einen Hörprüfraum mit einem Volumen von z.B. ca. 50 m³ (20 m² bei 2,5 m Höhe) ergeben sich in Abhängigkeit vom gewünschten Hallradius rh folgende erforderliche mittlere Nachhallzeiten Tm:

Tabelle 5-1: Abhängigkeit des Hallradius eines Raumes von 50 m³ von der Nachhallzeit

Diese kurzen Nachhallzeiten sind erforderlich, wenn die Schallquelle allseitig gleichmäßig abstrahlt. Die typischen Lautsprecherboxen am Audiometrietisch haben aber einen Bündelungsgrad von etwa γ = 3, sodass die Richtentfernung (der Übergang vom Freifeld zum Hallfeld bei Verwendung des Lautsprechers) um den Bündelungsfaktor, also etwa um 31/2 = 1,7, zunimmt. Damit errechnen sich dann folgende einzuhaltende mittlere Nachhallzeiten Tm:

Tabelle 5-2: Abhängigkeit der Richtentfernung eines Raumes von 50 m³ von der Nachhallzeit

Bei einem Raum mit sehr kurzer Nachhallzeit ergibt sich die Schallverteilung nicht so sehr aus dem (erst im größeren Abstand vorliegenden) diffusen Hallfeld, sondern vielmehr aus der Aufstellung der Lautsprecher in Bezug auf den Sitzplatz des Probanden. Hier wird sich bei einer gewählten und danach festgelegten Anordnung der Lautsprecher im Allgemeinen nur ein optimaler Abhörplatz ergeben. Standard-Audiometrietische geben diesen „Bezugspunkt“ vor. Bei Hörakustikern und in HNO-Praxen gibt es häufig eine „relativ frei gewählte“ Aufstellung des Mobiliars.

Die raumakustische Bearbeitung muss darauf zielen, bereits erste Reflexionen vom Lautsprecher über eine schallharte Fläche zum Abhörplatz zu verhindern, um sonst möglicherweise auftretende stehende Wellen, Klangverfärbungen und Auslöschungen nicht eintreten zu lassen. Hierdurch ist an bestimmten Stellen der Räume eine stark schallabsorbierende Auskleidung von vornherein vorgegeben. Diese Flächen sind in Abhängigkeit von der Lage des Abhörplatzes im Verhältnis zur Raumausstattung mit Mobiliar und Geräten festzulegen. Vergleichsweise ausgeführte Schallmessungen in fertiggestellten Hörprüfräumen einerseits ohne weitere Ausstattung und andererseits nach Einbau des Audiometrietisches zeigten bereits deutliche Auswirkungen der Schallreflexionen an der Tischplatte.

 

 

 

 

 

Abbildung 5-2:

Schallausbreitungskurven in baugleichen Hörprüfräumen,
die untere Kurve ohne Audiometrietisch liegt nahe an der Freifeldgeraden, die obere Kurve ist durch Reflexionen am Tisch beeinflusst

5.3     Freifeld-Bedingungen nach DIN EN ISO 8253

DIN EN ISO 8253 definiert im Teil 2 die Bedingungen des freien Schallfeldes über die zulässigen Schallpegel-Abweichungen an genau festgelegten Punkten vor dem Lautsprecher von dem 1/r²-Verlauf. Dazu wird zunächst der Bezugspunkt festgelegt (typischerweise 1,0 m vom Lautsprecher entfernt) und dort auf der Normalen-Achse senkrecht vor dem Lautsprecher ein Referenz-Schallpegel gemessen (meistens 70 dB). Anschließend werden die Schallpegel an vier Punkten gemessen, welche um 15 cm nach oben, unten, links und rechts verschoben sind. Sie kennzeichnen vorrangig die Richtcharakteristik (Bündelungswirkung) des Lautsprechers in Breite und Höhe, aber nur bedingt eine Raumeigenschaft. Weil die Lautsprecher mit zunehmender Frequenz stärker bündeln, werden bis einschließlich 4000 Hz Abweichungen um ±1 dB zugelassen, über 4000 Hz um ±2 dB.

Zwei weitere Messungen erfolgen bei Verschiebungen auf der Normalen-Achse senkrecht vor dem Lautsprecher in Längsrichtung um ±15 cm (freies Schallfeld) bzw. ±10 cm (quasi-freies Schallfeld). Dann dürfen die Messwerte vor und hinter dem Lautsprecher um nicht mehr als ±1 dB von dem Wert abweichen, welchen man rechnerisch nach dem 1/r²-Verlauf erwarten kann. Das ist in der Norm etwas schwer verständlich ausgedrückt. Wenn man es sich aber einmal ausgerechnet hat, dann ist es hinterher ganz einfach. Weil man dabei genau auf der Normalen-Achse misst, spielt die Richtcharakteristik der Lautsprecher hier keine Rolle. Entsprechend gibt es auch für alle Frequenzen dieselbe Anforderung. In der folgenden Tabelle sind die Schallpegel-Grenzwerte der Toleranzbereiche unter der Annahme aufgeführt, dass am Bezugspunkt ein Schalldruckpegel von 70 dB(A) eingestellt wurde. Dann sind bei den Abständen um 15 cm bzw. 10 cm näher am Lautsprecher und um denselben Betrag weiter von ihm entfernt folgende Schallpegel nachzuweisen:

Tabelle 5-3: zulässiger Toleranzbereich der Schallpegel-Abweichungen vom Sollwert im freien und im quasi-freien Schallfeld vom 1/r²-Verlauf

Zunächst ist es verwunderlich, dass augenscheinlich für das quasi-freie Schallfeld schärfere Anforderungen gelten sollen, als für das freie Schallfeld. Tatsächlich dürfen aber im quasi-freien Schallfeld die Abweichungen in ±15 cm Abstand schon geringfügig größer sein, als im freien Schallfeld. Je besser der Lautsprecher bündelt, desto geringer sind die Abweichungen in Längsrichtung, desto größer werden aber die Abweichung in den beiden Querrichtungen Breite und Höhe.

Besonders wichtig sind solche Kalibrier-Messungen für den frontalen Lautsprecher. Sinnvoll sind sie darüber hinaus aber auch für die beiden seitlichen Lautsprecher. Diese Messungen sind für alle Messfrequenzen (125 Hz, 250 Hz …) auszuführen.

Messfehler, die ebenfalls zu Abweichungen von den Sollwerten führen, können dadurch entstehen, dass der Abstand von 1,0 m von einem Bezugspunkt des Lautsprechers gemessen wird, der nicht unbedingt mit dem akustischen Zentrum der Abstrahlung übereinstimmt. Nicht auf allen Lautsprechern ist diese Position markiert.


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