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55 dB Hörverlust - was heißt das, was und wie hört man dann?

Einige Erläuterungen zu Schallpegeln, Lautstärke und zum Rechnen mit dB

Sowohl Schallpegel (umgangssprachlich auch Lautstärke genannt) als auch Hörverluste werden in dB angeben. Kaum jemand traut sich nachzufragen, was das denn überhaupt bedeutet und wenn tatsächlich eine solche Frage gestellt wird, dann erhält man häufig von verschiedenen Personen unterschiedliche Aussagen, z. B. ein bestimmter dB-Wert sei halb oder doppelt so viel, 10, 100 oder 1000-mal mehr und andere sagen wieder halb oder doppelt so laut. Dabei gehen die (jeweils teilweise richtigen) Aussagen bunt durcheinander und hinterher wundert man sich, dass irgend-jemand überhaupt noch etwas Richtiges weiß. Der folgende Beitrag will versuchen, mit nur ganz wenig Mathematik einige grundlegende Kenntnisse zu vermitteln.

Schallpegel und Hörverluste werden in dB (dezi-Bel) angegeben und das ist „dummerweise“ ein logarithmisches Maß. Das Wort „dummerweise“ ist deshalb in Ausführungszeichen gesetzt, weil es nach dem so genannten Weber-Fechnerschen Gesetz richtig und zwangsläufig ist [1] [2]. Der Mensch empfindet nämlich jede Reizänderung nur relativ zu der schon vorhandenen Reizstärke und nicht absolut: das ist doppelt so hell, doppelt so laut, halb so laut oder der Ton ist doppelt so hoch wie ein anderer (eine Oktave). Mathematisch ergibt sich daraus ein Logarithmen-Gesetz. Man setzt beide Größen (z. B. die beiden zu vergleichenden Schallintensitäten I1 und I2, jeweils in W/m²) ins Verhältnis, logarithmiert dann: L = lg (I1/I2) und gibt diese Größe in Bel an (nach Graham Bell, dem Erfinder des Telefons). Der Intensitätsunterschied, den ein Guthörender gerade wahrnehmen kann, beträgt etwa 0,1 Bel. Nun ist vor vielen Jahren ein „ganz Schlauer“ auf die Idee gekommen (damals waren die Schallpegelmesser in ihrer Anzeige noch nicht sehr genau) und hat 1 Bel in 10 dezi-Bel unterteilt. So wie 0,1 m = 1 dm ist, ist eben auch 0,1 B = 1 dB. Das hatte damals den Vorteil, dass man immer mit ganzen Zahlen ohne Nachkommastellen rechnen konnte. Moderne Schallpegelmesser sind so genau, dass sie 1/100 dB anzeigen können, was dann 1 mB (milli-Bel) entspricht.

Weil das Rechnen mit Logarithmen nicht jedermanns Sache ist, enthält die folgende Tabelle eine Aufstellung für die "glatten" Werte:

dezi-Bel

Bel

Intensitätsverhältnis

                0

0

         10 0

    1 :                    1

             10

1

         10 1

    1 :                  10

             20

2

         10 2

    1 :                100

             30

3

         10 3

    1 :             1 000

             40

4

         10 4

    1 :           10 000

             50

5

         10 5

    1 :        100 000

             60

6

         10 6

    1 :     1 000 000

             70

7

         10 7

    1 :   10 000 000

Man sieht hier, dass das Intensitätsverhältnis gleich dem 10-hoch-Bel-Wert ist. In der folgenden Tabelle sind einige markante Werte angegeben und zwischen 50 und 60 dB noch einige „krumme“ Werte eingefügt. Daraus kann man z. B. erkennen, dass ein Schwerhörender mit einem Hörverlust von z. B. 55 dB erst dann ein Signal gerade eben wahrnimmt, wenn die (physikalisch messbare) Schallintensität 300 000 mal größer ist als bei der Hörschwelle guthörender Personen.

dezi-Bel

Bel

Intensitätsverhältnis

                0

0

         10 0

    1 :                    1

                3

0,3

         10 0,3

    1 :                    2

                5

0,5

         10 0,5

    1 :                    3

                7

0,7

         10 0,7

    1 :                    5

             40

4

         10 4,0

    1 :           10 000

             43

4,3

         10 4,3

    1 :           20 000

             45

4,5

         10 4,5

    1 :           30 000

             47

4,7

         10 4,7

    1 :           50 000

             50

5

         10 5

    1 :        100 000

             53

5,3

         10 5,3

    1 :        200 000

             55

5,5

         10 5,5

    1 :        300 000

             57

5,7

         10 5,7

    1 :        500 000

             60

6

         10 6

    1 :     1 000 000

 

Schallpegel ist nicht Lautstärke

Das subjektive Lautstärkeempfinden folgt nicht diesen physikalischen Gesetzen. Wenn ein um 3 dB höherer Schallpegel bedeutet, dass die Schallintensität dieses Signals doppelt so groß ist (siehe oben) wie die des Vergleichs-Signals, dann heißt das noch lange nicht, dass man dieses Signal auch als doppelt so laut empfindet. Guthörende Personen empfinden eine doppelte Lautstärke erst dann, wenn der Schallpegelunterschied zwischen den beiden Signalen etwa 10 dB beträgt. Genau genommen muss man sagen, dass verschiedene Testpersonen 8...12 dB Pegelunterschied etwa als Lautstärkeverdoppelung oder -halbierung empfinden. Die Hörversuche, an denen seinerzeit etwa 70 „normalhörende“ (ohrgesunde) Studenten unter 25 Jahren teilnahmen, haben aber im statistischen Mittel den Wert von 10 dB für die Verdoppelung oder Halbierung ergeben. Auch bei den Hörversuchen ist also jede Person ein Individuum.

Diagramm Abhängigkeit der Lautheitsempfindung vom Schallpegel
Abhängigkeit der Lautheitsempfindung vom Schallpegel

Zwicker und Feldtkeller [4] haben in den 60er Jahren bei den oben erwähnten Untersuchungen festgestellt, dass oberhalb von etwa 40 dB jede Schallpegelzunahme um 10 dB von guthörenden Personen im Mittel etwa als Lautstärkeverdoppelung empfunden wird. Sie haben deshalb willkürlich 40 dB zu 1 sone (von sonare = tönen) gesetzt, 50 dB zu 2 sone, 60 dB zu 4 sone, 70 dB zu 8 sone usw.. An diesen Zahlenwerten kann man gut die Verdoppelung der „Lautheit“ erkennen. Zwicker und Feldtkeller haben ausdrücklich „Lautheit“ geschrieben, weil „Lautstärke“ oft mit „Schallpegel“ gleichgesetzt wird. Aus dieser Untersuchung resultiert die Aussage: 3 dB mehr sind zwar physikalisch doppelte Intensität, erst 10 dB mehr sind aber subjektiv etwa die doppelte Lautheit.

Für diejenigen, die es noch ein wenig genauer wissen wollen, kommt jetzt etwas Mathematik (aber nur ganz wenig): Nimmt man an, die eine Intensität sei doppelt so groß wie eine andere, es sei also A = 2B, dann kann man rechnen:

DL = 10 lg (A/B) = 10 lg (2B/B) = 10 lg 2 = 10 x 0,3010... dB ≈ 3 dB

Das heißt also, dass ein Intensitätsverhältnis von 2:1 einem Pegelunterschied von 3 dB entspricht (und der Kehrwert 1:2 = 1/2 entspricht -3 dB). Physikalisch betrachtet ist 3 dB mehr oder weniger also immer doppelt oder halb so viel. Beim subjektiven Lautstärkeempfinden gilt das nur für sehr niedrige Pegel, bei hohen Pegeln wird das Ohr - wie oben beschrieben -  unempfindlicher.

 

Lärm ruft zu den Waffen: ALARM

Unterhalb von 40 dB stimmt bei guthörenden Personen die Aussage, eine Pegelveränderung um 10 dB sei halb/doppelt so laut, aber nicht mehr. Bei niedrigen Pegeln unterscheidet das Gehör genauer: Bei 30 dB reichen 5 dB Unterschied für halb/doppelt so laut und bei 20 dB reichen sogar nur 3 dB Unterschied und schon empfinden Guthörende ein Signal als halb/doppelt so laut. Das war früher lebenswichtig, damit man frühzeitig die Feinde oder die wilden Tiere anschleichen hörte. Dieses Wachsam-Sein-Müssen (genau genommen: Horchsam-Sein-Müssen) ist auch der Grund, warum man das Ohr im Schlaf und auch in der Narkose nicht schließen kann, wohl aber die Augen. Das Wort „Lärm“ und das Wort „Alarm“ haben deshalb den gleichen Wortstamm, weil die Wache, wenn sie wachsam war, beim leisen Annähern des Feindes „Alarm“ schlug, also Lärm machte und damit die Kampfgenossen zu den Waffen (ital.: al arme) rief.

Lärm setzt noch heute Adrenalin (= Stresshormon) frei und weckt unbewusst die Kampfbereitschaft, so dass wir uns in Abwehrhaltung begeben. Unter Lärm-Stress steigt deshalb auch das Herzinfarkt-Risiko beträchtlich. Man vermutet, dass heute mehr Menschen an lärmbedingtem Herzinfarkt sterben als durch Lärm schwerhörend werden.

 

„Etwas lauter“ ist „sehr laut“: Recruitment

Bei guthörenden Personen liegt zwischen der Hörschwelle (definiert als Schallpegel 0 dB) und der Schmerzschwelle eine Spanne von etwa 120 dB. Diese zwölf 10-dB-Stufen bedeuten somit eine 12-fache Verdoppelung der Lautstärkeempfindung: 1 / 2 / 4 / 8 / 16 / 32 / 64... Wenn aber bei schwerhörenden Menschen (mit Schallempfindungs-Schwerhörigkeit, das sind über 90% der Schwerhörenden) nicht nur die Hörschwelle um z. B. 50 dB angehoben ist, sondern auch die Unbehaglichkeitsschwelle von 120 dB auf z. B. 100 dB absinkt, dann steht für den gesamten Lautstärke-Empfindungsbereich nur noch eine Spanne von 50 dB, nämlich 50 ... 100 dB zur Verfügung. Zwischen „ganz leise“ und „ganz laut“ wird die Empfindungskurve also viel steiler. Mediziner sprechen dann von „Recruitment“, zu Deutsch „Lautheitsausgleich“. Bei Personen mit Schallleitungs-Schwerhörigkeit (Mittelohr-Schwerhörigkeit, unter 10%) tritt dieser Effekt nicht auf.

Diagramm steilere Lautheits-Empfindungskurve bei Recruitment
Die Lautheits-Empfindungskurve ist bei Recruitment steiler

Schwerhörende empfinden deshalb auch kleine Schallpegel-Unterschiede häufig viel krasser, z. B. 2 oder 3 dB mehr sind dann doppelt so laut. Wenn ein Schwerhörender einen Guthörenden bittet etwas lauter zu reden, dann spricht der (nach seinem subjektiven Empfinden) etwa doppelt so laut, oder (physikalisch) mit einem 10 dB höheren Schallpegel. Für Menschen mit Recruitment sind das aber etwa 2 + 3 + 2 + 3 dB und damit rund 4 (!) Verdoppelungen. 1 / 2 / 4 / 8 / 16. Dann heißt es „Du brauchst doch nicht gleich zu schreien“ und beide haben Recht. Dieses Phänomen, bis zu einem gewissen Pegel (nämlich der individuellen Hörschwelle) gar nichts zu hören, oberhalb davon dann aber „wie ein Luchs“ hat zu vielen Anekdoten über Schwerhörende geführt. Weitaus ärgerlicher ist aber, dass die Aussage „ich höre doch noch gut, du brauchst gar nicht zu schreien“ dazu führt, dass die Betroffenen den Gehörschaden selbst viel zu spät (endlich) wahrnehmen.

 

Wichtiges ist hochfrequent

Es gibt noch ein weiteres Phänomen, das häufig im Gespräch über Schallpegel und Hörverluste vergessen wird: Das menschliche Gehör arbeitet nicht in allen Frequenzbereichen (also bei allen Tonhöhen) gleichartig, sondern sein Verhalten ist stark frequenzabhängig. Unser Ohr ist seit Jahrmillionen darauf eingerichtet, hohe Töne besonders gut zu hören: Das Gluckern von Wasser, das Rascheln von Laub und das Knacken von Ästen, auch das Surren einer Mücke. Mit solchen Geräuschen konnten sich Gefahren ankündigen. Wichtige Geräusche sind hochfrequent, z. B. auch die Klingel der Feuerwehr. Frauen haben hohe Stimmen, weil sie wichtigeres zu sagen haben und wir Männer haben dem nichts entgegen zu halten.

Auch die wichtigen Sprachanteile der Zisch- und Explosivlaute (im Wesentlichen die Konsonanten) liegen im hochfrequenten Bereich, während die Vokale mit starken tieffrequenten Komponenten nur die Lautstärke der Stimme ergeben: Bei Guthörenden reicht Flüstern für die vollständige Weitergabe von Informationen aus und das sind eben nur die hohen Frequenzen. Wenn man „M“ „TZ“ und „SCH“ spricht, so hört man schon wie das „M“ ein tieffrequentes Summen, das „SCH“ und noch mehr das „TZ“ ein hochfrequentes Zischen sind. Beide klingen wiederum deutlich unterschiedlich. Wenn man diesen unterschiedlichen Klang aber wegen eines Hörverlustes nicht mehr wahrnimmt, was dann? Dann wird eben aus „Mutter“ das Wort „Butter“ und aus „zu“ wird „Schuh“. Von den gut 35 Phonemen der deutschen Sprache lassen sich nur etwa 11 durch Absehen eindeutig erkennen, während man die anderen aus dem Zusammenhang heraus kombinieren muss, wenn man sie nicht mehr hören kann. Wie wichtig die Konsonanten sind, lässt sich grafisch gut veranschaulichen:

 

Die Konsonanten sind wichtiger als die Vokale.

D   K  ns  n  nt  n  s nd  w cht g r   ls d e  V k l  .

  ie   o   o  a   e     i      i       i  e   a      ie   o  a e.

 

Diagramm Normalkurven gleicher Lautstärkepegel
Normalkurven gleicher Lautstärkepegel

Wie hört man „normal“?

Die starke Frequenzabhängigkeit der Lautstärkeempfindung ist bei Guthörenden sehr genau untersucht. Bereits seit mehreren Jahrzehnten gibt es in einer DIN-Norm [3] die so genannten „Normalkurven gleicher Lautstärkepegel“. Deutlich ist zu erkennen, dass bei 1000 Hz der Schallpegel, der bei Guthörenden gerade eine Hörempfindung auslöst, willkürlich mit 0 dB festgelegt wurde. Das gilt für das Hören mit beiden Ohren; beim Hören mit einem Ohr braucht man wiederum 3 dB mehr Schallpegel. Auch hierbei handelt es sich wieder um den Mittelwert über eine große Anzahl von Testpersonen.

Es gibt also durchaus Menschen, die noch unter 0 dB etwas hören können. Sie hören buchstäblich „das Gras wachsen“, denn die Geräusche der „Brownschen Molekularbewegung“ der Luft liegen nur etwa 10 dB unter der Norm-Hörschwelle.

Zwischen 2000 und 4000 Hz sind durchgängig die Ohren aller Testpersonen etwas empfindsamer als bei 1000 Hz. In diesem Frequenzbereich ist das Ohr aber – wie viele Audiogramme zeigen – auch am empfindlichsten. Lärmschwerhörigkeit macht sich deshalb im Allgemeinen in diesem Frequenzbereich eher bemerkbar als bei noch höheren Tönen.

Man kann auch erkennen, dass die tiefen Töne offenbar recht unwichtig sind, denn sie müssen mit deutlich höheren Schallpegeln einwirken bis sie gleichlaut empfunden werden, wie hohe Töne. Hier hat sich offenbar das Ohr im Laufe mehrerer Millionen Jahre an die Wichtigkeit der uns umgebenden Geräuschwelt angepasst.

Diagramm Hörschwellenkurven guthörend und mittelgradig schwerhörend
Hörschwellenkurven guthörend und mittelgradig schwerhörend

Die nebenstehende Abbildung enthält beispielhaft auch die Hörschwellenkurve eines mittelgradig Schwerhörenden. Die folgende Abbildung zeigt das zugehörige Audiogramm: Was rechts als Hörschwellenkurve „ziemlich verbogen“ aussieht, ist im Bild unten zu der „0-dB-Hörverlust-Geraden“ zurecht gerückt worden. In einem Audiogramm wird der Hörverlust – als Mangel – nach unten aufgetragen. Man benötigt für eine bestimmte Schallempfindung dann einen entsprechend der Hörschädigung höheren Schallpegel. Deshalb liegt in der Abbildung rechts die Hörschwellenkurve eines mittelgradig Schwerhörenden höher als die einer guthörenden Person.

Audiogramm eines mittelgradig Schwerhörenden
Audiogramm eines mittelgradig Schwerhörenden

Während man aus dem Audiogramm entsprechend deutlich den jeweiligen Hörver­lust erkennen und auch mit anderen Audiogrammen vergleichen kann (diese Darstellung bietet dem HNO-Arzt und dem Hörakustiker große Vorteile), kann man oben entnehmen, wie einschneidend die Veränderung in dem für das Sprachverständnis wichtigen hohen Frequenzbereich ist. Dabei ist dieser Vergleich insbesondere dann gut möglich, wenn nicht nur mit der Hörschwellenkurve, sondern auch mit den weiteren Kurven höherer Lautstärkeempfindungen verglichen wird.

 

Tonaudiogramm eines durch Lärm Hörgeschädigten (c5-Senke)
c5-Senke eines Lärm Hörgeschädigten

 

In dem Frequenzbereich, in dem unser Gehör besonders empfindam ist (etwa von  2000 Hz bis 5000 Hz), in dem ist es auch besonders empfindlich. Dort wird es also durch Lärm-Einwirkungen als erstes geschädigt. Das nebenstehende Tonaudiogramm zeigt beispielhaft die sogenannnte "c5-Senke" bei 4000 Hz. Dort liegt etwa der musikalische Ton des "fünfgestrichenen c", daher diese Bezeichnung.

Diagramm Abschwächungskurve des A-Bewertungs-Filters
Abschwächungskurve des A-Bewertungs-Filters

Das A-Filter: Versuch einer Annäherung

Um die Tonhöhenabhängigkeit der subjektiven Lautstärke-Empfindung von Guthörenden auch in die physikalische Angabe eines bestimmten Schallpegels mit einzubeziehen, hat man Filter in die Schallpegelmesser eingebaut, mit denen man das Signal bewertet, bevor es angezeigt wird. Eine beliebte Filterung (aber bei weitem nicht die beste) ist die „Bewertungskurve A“. Mit ihr wird eine Annäherung an die 40-Phon-Kurve versucht, um den physikalisch messbaren Schallpegel mit der subjektiv empfundenen Lautstärke näherungsweise zur Deckung zu bringen. So gemessene Schallpegel kennzeichnet man mit dB(A). Das Filter ist sehr einfach gehalten, weil man es bei seiner Entwicklung vor über 60 Jahren aus Widerständen und Kondensatoren herstellen musste. Es ermöglicht nur eine grobe Annäherung an das sehr komplexe Verhalten des menschlichen Gehörs. Man weiß damit, dass alle falsch messen, aber man ist sich auf diese Wesie auch sicher, dass alle "gleich falsch" messen.

Diagramm A-Bewertungs-Filter-Kurve im Vergleich zur 40-Phon-Isophone
A-Bewertungs-Filter-Kurve im Vergleich zur 40-Phon-Isophone

Wie schlecht diese Anpassung an die 40-Phon-Kurve ist, zeigt die nebnstehende Abbildung. Mit heutiger Digitaltechnik könnte man die Filter wesentlich genauer programmieren und somit eine bessere Anpassung an das subjektive Empfinden schaffen. Die dB(A)-Bewertung ist aber längst eine weltweit gängige Messmethode und in vielen Normen und Regelwerken sind Richt- oder Grenzwerte in dB(A) festgelegt. Eine bessere Messmethode würde deshalb nur an einer anderen Stelle zu erneuten Verunsicherungen führen. Generell verwendet man die Schallpegelangabe in dB(A) nur, wenn man die Einwirkung eines Gesamt-Schall­ereignisses auf den Menschen als „empfundene Lautstärke“ beschreiben (messen) will. Ein Hörverlust wird aber nicht in dB(A), sondern in dB beschrieben und man muss jeweils dazu angeben, bei welcher Frequenz dieser Wert gilt.

 

Was gilt denn nun?

Während man bei Guthörenden recht genau angeben kann, welche Schallpegelunterschiede mit welchen Lautheitsunterschieden korrelieren, ist dies bei Schwerhörenden nicht möglich. So wenig wie es eine mittlere Schwerhörigkeit gibt, so wenig gibt es auch ein mittleres Empfinden. Bei Guthörenden ist die Abhängigkeit vom Schallpegelunterschied, von der absoluten Höhe des Schallpegels und von der Frequenz (= Tonhöhe) recht genau bekannt. Bei Schwerhörenden kommen noch die Abhängigkeit vom Hörverlust (der seinerseits bei verschiedenen Frequenzen unterschiedlich ist) und von der Steilheit des Recruitment hinzu. Deshalb reagiert jede Person anders.

„We are still confused, but on a higher level.“

Exkurs: Wann Faktor 10 und wann Faktor 20?

Das menschliche Gehör kann nur eine Dynamik der Schalldrücke von 1 / 1.000.000 verarbeiten. Das sind doch nur sechs Dekaden, also 106 oder 60 dB. Wieso reichen dann die Schallpegel von 0 dB bis 120 dB?

Hier beschreibe ich etwas, das ich während meines Akustik-Studiums bis zum Diplom nicht verstanden habe. Erst viel später habe ich es gelernt und begriffen. Und wenn ich es heute erläutern will, dann winken die meisten Leute wegen des Rechnens mit Logarithmen ab und verstehen es dann lieber doch nicht. Aber ich probiere es jetzt mal:

Das Mikrofon am Schallpegelmesser misst den Schalldruck. Deshalb heißt die genaue Bezeichnung auch Schalldruckpegel. Das Rechnen mit Schalldrücken ist aber physikalisch deshalb nicht korrekt, weil es eigentlich überall um Schallleistungen geht. In der Schallleistung steckt aber der Schalldruck quadratisch. Das ist vergleichbar mit der elektrischen Leistung, die quadratisch von der Spannung abhängt (oder quadratisch vom Strom, je nachdem, wie man das Ohm’sche Gesetz anwendet). Um noch weiter zu verwirren: die Schallintensität ist ebenfalls eine Leistungs-Größe. Sie ist nämlich diejenige Schallleistung, welche durch eine gedachte Fläche von 1 m² hindurch tritt. Das ist aber nur dann interessant, wenn man die Schallleistung einer Quelle messtechnisch ermitteln will. Dann legt man nämlich eine gedachte Messfläche um diese Schallquelle und die wird eben in Quadratmeter gemessen. Geht man doppelt so weit von der Schallquelle weg, dann ist dort die Hüllfläche viermal so groß. Auch da steckt also wieder die quadratische Abhängigkeit drin.

Jetzt geht es richtig los mit der Mathematik:

Der Schalldruckpegel ist also eigentlich der Pegel

der Schalldruck-Quadrate:                              Lp = 10 lg (p²/p0²) dB

der Schallleistungen:                                       LW = 10 lg (P/P0) dB

der Schallintensitäten:                                       LI = 10 lg (I/I0) dB

Diese Gleichungen sehen alle identisch aus, aber nur deshalb, weil beim Schalldruckpegel der Logarithmus einer quadratischen Größe gebildet wird. Dadurch, dass man den aktuellen Wert immer durch einen Bezugswert (p0, P0 oder I0) dividiert, steht unter dem Logarithmus eine reelle Zahl ohne Einheit, weil die sich weg-kürzt. (Und weil der mit 10 multiplizierte Logarithmus einer reellen Zahl wieder eine reelle Zahl ist, ist das dB auch keine „Einheit“, sondern nur die „Kennzeichnung“, dass es sich hier um ein „logarithmiertes Größenverhältnis“ handelt.)

Man kann den Schalldruckpegel aber auch wie folgt schreiben:
                                                 Lp = 10 (p²/p0²) dB = 20 (p/p0) dB

Wenn das Argument eines Logarithmus quadratisch ist, dann kann man das Quadrat auch vor den Logarithmus ziehen, indem man dort mit 2 multipliziert. Nichts anderes ist bei dieser Schreibweise passiert.

Die Aussage, unser Ohr könne Schalldrücke von 1 / 1.000.000 verarbeiten, kann man auch wie folgt schreiben:

Lp = 20 lg (1.000.000/1) dB = 20 lg (106/1) dB = 120 dB oder

Lp = 10 lg (1.000.000²/1²) dB = 10 lg ((106)2/1) dB = 10 lg (1012/1)        
    = 10 lg (1.000.000.000.000/1) dB = 120 dB

Die beiden Lesarten sind also identisch, denn die Billion ist das Quadrat der Million, 1² ist aber wieder 1.

Auch bei den Verdoppelungen der Lautstärke, des Schalldruckpegels und der Schall-Leistung stehen immer wieder die Aussagen 3 dB oder 6 dB nebeneinander (oder gegeneinander).

Wenn man den Schalldruck verdoppelt, dann vervierfacht man damit die Schallleistung:

∆L = 10 lg(2²/1²) = 10 lg(4/1) = 20 lg (2/1) = 6 dB

Wenn man aber die Schallleistung (nur) verdoppelt, dann gilt   
                                                                 ∆L = 10 lg(2/1) = 3 dB.

Mathematik kann man nicht lernen, aber man kann sich daran gewöhnen!

 

Exkurs über Schalldruckpegel und Schall-Leistungspegel

Im Schalldruckpegel steckt (wie oben beschrieben) der mittlere Druck quadratisch, im Schall-Leistungspegel aber auch. Wann verwendet man das Eine und wann das Andere?

Der Schalldruck ist zunächst der Mittelwert der Druckschwankungen. Er wird aber vor dem Mitteln im Schallpegelmesser quadriert und damit gleichgerichtet, dann sind alle Werte ausschließlich positiv (-1 x -1 = +1). Würde man mitteln ohne zu quadrieren, dann käme 0 heraus, weil die Luftmoleküle um ihre Null-Lage hin und her schwingen. Das Messmikrofon erzeugt eine Spannung, die dem Schalldruck proportional ist. Durch das Quadrieren dieser Spannung entsteht nach dem oben schon erwähnten Ohm'schen Gesetz eine leistungsproportionale Größe. Aus diesem Mittelwert des quadrierten Schalldruckes (physikalisch genauer: aus dem Effektivwert) leitet das Gehör die empfundene Lautstärke ab.

Die Schall-Leistung charakterisiert die Quelle. In einem bestimmten Betriebszustand strahlt eine Maschine immer dieselbe Schall-Leistung ab. Ist man nah dran, dann hört man sie laut, ist man weit weg, dann hört man sie leiser.

Beispiel: Ein Tauchsieder hat eine Leistung von 1000 Watt. Hält man ihn in einen Wassertopf, dann fängt nach kurzer Zeit das gesamte Wasser an zu kochen. Stellt man eine starke Schallquelle in einen kleinen Raum, dann ist schnell der ganze Raum laut.

Hängt man den Tauchsieder aber in einen Swimmingpool, ohne umzurühren, dann ist es nah dran heiß, weiter weg aber kälter. Geht man mit der Schall-Leistungs-Quelle ins Freie, dann ist es nah dran laut, weiter weg aber leiser.

Die Schall-Leistung kann man mit der elektrischen Leistung vergleichen, den Schalldruck aber mit der Temperatur. Und die charakterisiert den Tauchsieder überhaupt nicht. Man kauft schließlich keinen von 100 Grad, sondern einen von 1000 Watt.

Das Dumme ist, dass man zum Logarithmieren immer erst einmal durch eine Bezugsgröße dividieren muss. Dann steht unter dem Logarithmus nur noch eine reelle Zahl und man kann nicht mehr erkennen, ob das mal eine Leistung oder ein Druck war. Dividiert man die 1000 W des Tauchsieders durch den Bezugswert 1 W, dann hat der einen elektrischen Leistungspegel von
                        10 lg (1000 W/ 1 W) = 10 lg 1000 = 3 B = 30 dB.
Deshalb muss, wenn man es genau macht, die Größenbezeichnung L (für Level) auch noch ein p als Index für den Druck bekommen (Lp) oder ein W für die Leistung (LW). Anfangs hat man für den Schall-Leistungspegel (richtiger) P (Power) genommen (LP), aber dabei wurden p und P oft verwechselt.

Für die akustische Messtechnik hat es große Vorteile, dass der Schalldruckpegel als 10 lg p² eine leistungsproportionale Größe ist. Will man den Schallleistungspegel einer Maschine (z. B. eines Rasenmähers) ermitteln, so misst man auf einer gedachten "Hüllfläche" m² für m² den Schalldruckpegel und hat damit für jeden Quadratmeter die Schallintensität. Jetzt muss man nur noch diese Schallintensitäten für die gesamte Hüllfläche addieren und erhält damit direkt den Schalleistungspegel. Viele VDI-Richtlinien, sogenannte "ETS-Regeln" (Emissionskennwerte technischer Schallquellen) beschreiben für bestimmte Arten von Schallquellen, wie man die Hüllflächen legen und wo man die Messpunkte anordnen soll, um mit möglichst wenigen Messungen zu einem ausreichend genauen Wert zu kommen.

Wer jetzt noch wissen möchte, wieviel % Abweichung eine Messtoleranz von +-0,5 dB ist, der kann gern mal ein wenig mit Logarithmen rechnen. Achtung: 0,5 dB = 0,05 B!

 

Vorsichtige Frage: Wem ist jetzt etwa noch irgendetwas klar?

 

[1]   Weber, Ernst Heinrich: Die Lehre vom Tastsinn und Gemeingefühl, Braunschweig. 1851

[2]   Fechner, Gustav Theodor: Elemente der Psychophysik, Breitkopf und Härtel, Leipzig, 1860

[3]   DIN 45 630-2:1967-09: Normalkurven gleicher Lautstärkepegel

[4]   Zwicker, Eberhard und Feldtkeller, Richard: Das Ohr als Nachrichtenempfänger, Hirzel-Verlag, Stuttgart, 1967


Wer jetzt noch Zeit und Lust hat, kann gleich noch Kopfrechnen üben...