6.1.1   Klassen-, Seminar- und Gemeinderäume, RG A4

Bitte lesen Sie zunächst die für alle Kapitel „übergeordneten“ Hinweise unter 6 und 6.1.

Im Klassenraum wird in Einzelarbeit, zu zweit oder in Gruppen gearbeitet. Es findet also häufig rege Kommunikation zur Erarbeitung des Lernstoffs statt. Frontalunterricht, also Unterrichtsphasen, in denen hauptsächlich die Lehrkraft spricht, herrscht meist nur dann, wenn neue Lerninhalte eingeführt, oder abgeprüft werden. Durch Partner- und Gruppenarbeit entsteht die Situation, dass gleichzeitig mehrere Personen im Raum sprechen – entweder zu zweit oder in Kleingruppen. Dies ist Alltag in der Pädagogik und stellt hohe Anforderungen an die Raumakustik.

Nach Ruhe (2023) lauten die bundesweiten Mittelwerte der Raumvolumina von Klassen- und Seminarräumen einschließlich der Standardabweichungen σ für einen mit Unterstützung von über 60 Kolleginnen erfassten Stichprobenumfang von inzwischen schon n > 2.300 Datensätzen nach der Erhebung von 2022/23:

 

 

 

 

 

 

 

Abbildung 6.1.1.1 Häufigkeitsverteilung der Volumina von mehr als 2300 Klassenräumen
bei einer Klassen-Stufung von jeweils 10 m³

Der Mittelwert beträgt Vm = 207 m³ mit einer Standardabweichung von 17% (± 35 m³). Danach errechnet sich für Klassenräume in der Raumgruppe A4 der Sollwert der Nachhallzeit

        Tsoll = 0,46 s (0,44 s … 0,48 s).

Für die Berechnung eines Standard-Klassenraumes wurden folgende Maße angenommen: 

  L = 9,0 m, B = 7,2 m, G = 64,8 m², H = 3,2 m, V = 207 m³

Nach der Sabineschen Nachhallgleichung wird bei V = 207 m³ für Tsoll = 0,46 s eine äquivalente Schallabsorptionsfläche Aerf = 72 m² benötigt. Das sind etwa 7 m² mehr als die gesamte Deckenfläche des Raumes. Allein die Decke mit einem Absorber zu belegen, reicht also selbst dann nicht aus, wenn dieser einen bewerteten Schallabsorptionsgrad αw = 1,00 aufweist. Bei gestalterisch gewünschten Absorbern mit geringerer Schallabsorption wird die Diskrepanz noch größer. Deshalb sind auch an anderen Flächen Absorptionsmaterialien notwendig. Wenn man die „schallharten“ Bauteile an Wänden und Fußboden mit αw = 0,03, die (geringe) Absorption des Mobiliars und auch die Wirkung eines etwa 6 m² umfassenden Rückwandpaneels sowie schließlich auch die durch die Schülerinnen bewirkte Absorption berücksichtigt, dann muss mit der Decke – je nach Ausstattung des Raumes – eine äquivalente Schallabsorptionsfläche von A = 50 … 55 m² erreicht werden. Damit lauten rechnerisch die notwendigen Schallabsorptionsgrade:

Decke vollflächig                     9,0 m * 7,2 m = 64,8 m²                                                           αw ≥ 0,85

Decke mit 30 cm Fries            8,4 m * 6,6 m = 55,4 m²                                                           αw ≥ 1,00

Durch den „nur“ 30 cm breiten Randfries gehen also in diesem (durchaus realistischen) Beispiel bereits 9 m² mögliche Absorberfläche an der Decke verloren, sodass nur noch wenige extrem wirksame Material-Arten eingesetzt werden können.

Wenn man sich als Bodenbelag anstelle von Linoleum für Teppichboden entscheidet, wird die Situation für die Decke etwas günstiger. Sie muss dann nur noch eine Wirkung von A = 45 … 50 m² erreichen. Dann gilt:

Decke vollflächig                     9,0 m * 7,2 m = 64,8 m²                                                           αw ≥ 0,75

Decke mit 30 cm Fries            8,4 m * 6,6 m = 55,4 m²                                                           αw ≥ 0,95

Grundschulklassen stellen sich häufig im fertigen Zustand gegenüber den Klassenräumen höherer Jahrgänge als etwas günstiger heraus. Das ist durch die dort stärkere Möblierung mit Absorbern (Kuschelecke mit Sofa und Kissen, teilflächige Teppichböden, offene Regale mit Material) begründet. Diese Ausstattung kann/darf aber rechnerisch nicht vorausgesetzt werden, weil sie von Entscheidungen der jeweiligen Schule oder Lehrerin abhängt.

In Ergänzung zu der schallabsorbierenden Decke sind unbedingt auch entsprechende Wandpaneele, meistens an der „Rückwand“ gegenüber der (digitalen) Tafel, notwendig. Sie sind im Bereich der Mund- und Ohrhöhe sitzender und stehender Personen (1,2 m bzw. 1,6 m) anzubringen. Günstig sind etwa 1,2 m hohe Elemente im Montagebereich zwischen 0,8 m und 2,0 m über OKF. Eine ausführliche Begründung dafür enthält der einleitende Abschnitt von Kapitel 6; genaueres zu Materialien und Bauweisen siehe demnächst Kapitel 7.3 bzw. die „Bastelanleitung" für solche Wandpaneele.

Abbildung 6.1.1.2 Beispiele schallabsorbierender Wandpaneele

Welche überragende Bedeutung schallabsorbierende Wandpaneele in der Raumakustik von Klassenräumen haben, insbesondere in den für die Sprachverständlichkeit wichtigen drei oberen Oktaven, zeigen die beiden folgenden Abbildungen, aus zwei Räumen verschiedener Schulen, die nachträglich mit Wandpaneelen (jeweils 4,8 m * 1,2 m) ergänzt wurden, um Schülerinnen mit Hörschädigung wohnortnah beschulen zu können:

Abbildung 6.1.1.3 Messergebnisse aus zwei Klassenräumen
vor und nach Montage schallabsorbierender Wandpaneele

Obwohl derartige Wandpaneele im Allgemeinen nur etwa 6 m² umfassen (und damit nicht einmal 10 % der Deckenfläche) bewirken sie in Klassenräumen noch einmal deutliche Nachhallzeit-Verkürzungen, weil sie die horizontalen Echos beseitigen.

Die für Klassenräume aufgrund der Erhebung von Ruhe (2023) sehr gut belegten Daten sind in gleicher Weise auch auf entsprechende Seminarräume im Bereich von Hochschulen sowie auf Gemeindesäle und ähnliche Räume in kommunalen oder kirchlichen Gemeinderäumen anzuwenden.

Abbildung 6.1.1.4 Messergebnisse aus einem kirchlichen Gemeindesaal
vor und nach Montage schallabsorbierender Deckenbekleidungen und Wandpaneele

Im Zusammenhang mit neuen Unterrichtsformen werden auch konventionelle Klassenräume nicht mehr nur für frontalen Unterricht genutzt. Vielmehr wird zu Beginn der jeweiligen Unterrichtseinheit ein „Instruktionsteil“ zur Erläuterung der Aufgaben benutzt, welche die Schülerinnen anschließend in Eigenarbeit zu erledigen/lernen haben. Dafür sitzen die Schülerinnen (mehr oder weniger) in Kreisform und gehen anschließend an ihre Einzel-Arbeitsplätze. Wenn Klassenräume neu gebaut werden, sollte man mit den Lehrerinnen die gewünschten Aufteilungen und notwendigen Flächen erörtern und erst danach die Raumformen (eher quadratisch / eher langgestreckt) festlegen. In bestehenden Räumen ist der notwendige Platz für diese Unterrichtsformen oft nicht vorhanden.

Abbildung 6.1.1.5 „Stuhlkreis im Altbau extrem eng, im Neubau mit ausreichend Platz

Nach meinen (bisher noch wenigen eigenen) Beobachtungen zu dieser neuen Unterrichtsform scheinen sich gestreckte Raumformen wohl eher für eine „Zonierung“ zu eignen als kompakte. Der kürzere Abstand zur Präsentationsfläche während des „Instruktionsteiles“ ermöglicht auch dann eine gute Erkennbarkeit von Schrift, wenn nicht die allergrößten erhältlichen Monitore installiert werden.

Anders als bei einem Raum für „Darbietungen“ mit einem vorderen Präsentations- und einem hinteren Zuhörerinnenbereich soll in langgesteckten Unterrichtsräumen kein Deckenreflektor geplant werden. Während des „Instruktionsteiles“ sitzen die Schülerinnen nahe an der Tafel bzw. dem Monitor und die Abstände sind kurz; in der anschließenden Phase der Eigenarbeit sitzen sie an Ihren Plätzen und die Gespräche mit der Lehrerin erfolgen jeweils nur über kurze Distanz.

Schallabsorbierende Wandpaneele sind in jedem Fall zusätzlich notwendig!

Abbildung 6.1.1.6 In langgestreckten Klassenräumen mit Zonierung der Nutzungsarten
ist ein „Deckenreflektor“ wie in einem Darbietungsraum (links) nicht hilfreich;
besser ist in den Klassenräumen eine vollflächig schallabsorbierende Belegung der Decke (rechts)

Die aufgelöste Sitzweise beim individuellen Lernen erzeugt bei der und für die Beleuchtung gewisse weitere Freiheiten. Weil die Sitzplätze bei sachgerechter Beleuchtung frei gewählt werden können, sind Linkshänderennen nicht mehr durch eine für sie ungeeignete Licht-Einfallsrichtung benachteiligt. Andererseits werden viele Einzel-Arbeitsplätze zu den Wänden ausgerichtet. Die „klassische“ Anordnung von Lampen in Klassenräumen in nur zwei Reihen bewirkt für die Arbeitsplätze am Rand Schattenwurf und schlechte Beleuchtung der Arbeitsfläche. Schülerinnen mit Bedarf an einer speziellen Einzelplatzbeleuchtung oder für Lesegeräte sitzen an den Wänden in der Nähe von Steckdosen.

Was ist bei Klassen-, Seminar- und Gemeinderäumen zu tun?
- Anhand der Nutzungswünsche Grundfläche und Raumform festlegen
- die gestalterisch für diese Raumart gewünschten Materialien auswählen
- deren bewertete Schallabsorptionsgrade αw ermitteln/erfragen (αw≥ 0,80)
- die für diese αw erforderlichen Flächenanteile berechnen
- günstig ist generell eine vollflächige Belegung der Decke
- Randfriese keinesfalls breiter als 0,3 m, besser deutlich schmaler
- ein schallabsorbierendes Rückwandpaneel ist MUSS (ca. 6 m²)
- Anbringung im Höhenbereich von 0,8 m bis 2,0 m über OKF entsprechend
  der Mund- und Ohrhöhe sitzender und stehender Personen (ca. 4,8 m -
  1,2 m breit)
- Lampen in der Akustikdecke so anordnen, dass die Schülerinnen an ihren
  Arbeitsplätzen nicht im eigenen Schatten sitzen
- Lampen aktiv schalt- und dimmbar,
  Beleuchtungsstärke für Schülerinnen mit Sehschädigung bis 1000 Lux
- zusätzliche Steckdosen für Arbeitsplatzleuchten / Lesegeräte
  für die Schülerinnen mit Sehschädigung
  und für die Ladegeräte von Funk-Übertragungsanlagen (siehe auch
 
Kapitel 7.12)
für Schülerinnen mit Hörschädigung vorsehen

 

Stand 2025-02-02