Exkurs „Woher kommen die Toleranzbereiche?“
Die grundlegenden Kenntnisse zur Berechnung der Nachhallzeit in Räumen hat W.C. Sabine zwischen 1910 und 1915 entwickelt. Sie wurden zunächst auf Konzertsäle angewendet und daran erprobt und verfeinert. In Deutschland waren Erwin Meyer und später Lothar Cremer Wegbereiter der „Architektur-Akustik“, heute Raumakustik.
Als erste Norm zur Sprachverständlichkeit erschien DIN 18041 im Jahr 1968. Ihr war ein Entwurf von 1966 vorangegangen. Diese Fassung war ein 7-seitiges Dokument, das die Hörsamkeit zweier Arten von Räumen regelt: Die Sprachverständlichkeit sollte in Unterrichtsräumen, Hörsälen, Gerichtsräumen etc. (auch über größere Abstände) ohne Einsatz von Beschallungsanlagen ermöglicht werden. Dabei werden nur Räume mit einem Volumen bis 1000 m³ betrachtet. Die zweite Art fasst Räume zusammen, in denen die Lärmminderung und die Verständlichkeit von Gesprächen über kurze Entfernungen von Interesse sind. Nur wenig später wurde in den (jetzt) neuen Bundesländern TGL 10687-4:1970 erstmals veröffentlicht.
In der Entstehungszeit dieser beiden Normen waren Beschallungsanlagen (noch mit Röhren-Verstärkern) den „ganz großen“ Räumen vorbehalten; alle anderen mussten allein mit der menschlichen Stimme gefüllt werden. Hierzu war eine ausreichende „Tragfähigkeit“ für das Sprachsignal notwendig, was einerseits für größere Räume eine längere mittlere Nachhallzeit, verbunden mit einer unteren Toleranzbereichsgrenze erforderte. Andererseits darf für eine gute Sprachverständlichkeit die Nachhallzeit nicht zu lang sein. Deshalb wurde auch nach oben begrenzt und in vielen, auch späteren, Regelwerken ein frequenzabhängiger Toleranzbereich von ±20 % (mit gewissen zulässigen Abweichungen bei den unteren und oberen Oktaven) festgelegt.
Beide Normen (DIN und TGL) bezogen sich auf Musikdarbietungen, also Aufführungsräume, und auf Sprachdarbietungen von nur jeweils einer sprechenden Person. Das ist nicht verwunderlich, denn der Frontalunterricht war der Regelfall und die heutigen offenen Unterrichtsformen mit Sprachkommunikation waren noch unüblich. In DIN 18041 waren die Soll-Nachhallzeiten lediglich für die vier Volumina von 125, 250, 500 und 1000 m³ aufgeführt. TGL 10687-4 enthielt Diagramme mit volumenabhängig angegebenen Sollwerten für Sprach- und für Musikdarbietungen und für die zugehörigen Toleranzbereiche, siehe Abbildung 5.2.1.
Abbildung 5.2.1 Diagramme aus TGL 10687-4:1981
Für Räume zur Sprach-Information und -Kommunikation ist die Untergrenze des Toleranzbereichs fast immer belanglos. Deshalb heißtes auch in DIN 18041, Kapitel 4.2.3: Im Zweifelsfall sollten in Räumen zur Sprach-Information und -Kommunikation eher kürzere als längere Nachhallzeiten realisiert werden werden. In diesem Sinne könnte zukünftig in DIN 18041 bei diesen Raumarten die untere Toleranzbereichsgrenze getrost entfallen.
Klassen-, Gruppen-, Seminar- und Besprechungsräume bis etwa 250 m³ kann man nicht „überdämpfen“. Wenn dieses Gefühl auftreten sollte, dann ist raumakustisch etwas falsch geplant oder ausgeführt worden. Siehe hierzu auch Kapitel 5.2.3. (Längst nicht immer setzen die Bauherrinnen die Ratschläge der Akustikerinnen um.)
Größere Räume werden nicht mehr mit der Stimme allein versorgt, sondern mit Unterstützung durch eine Beschallungsanlage. Die ist viel einfacher zu bedienen, wenn die Nachhallzeit im Raum kurz ist. (Das gilt insbesondere dann, wenn die Beschallungsanlage „irgendwo“ eingekauft und dann „einfach so“ hingestellt/aufgehängt wird, anstatt eine sachgerechte Anlage zu installieren.) Die Pegelabnahme von vorne nach hinten wird von der Anlage problemlos ausgeglichen und die Sprachverständlichkeit wird nicht zusätzlich durch eine unnötig lange Nachhallzeit beeinträchtigt. Auch wenn Diskussionsbeiträge mit Funkmikrofonen übertragen werden, vergalten sich die Beschallungsanlagen in gut gedämpften Räumen wesentlich unkritischer. Zu Beschallungsanlagen wird es demnächst im Kapitel 7.12 etwas zu lesen geben…
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